Die Fachschaft Philosophie und ihr Beitrag zur Bildung

 

Philosophieren ist der natürliche Feind der Normalität.

 

Unser normaler Lebensvollzug beruht auf dem scheinbar mühe- und problemlosen Wahrnehmen und Erkennen unserer Umwelt. Gewöhnlich fragen wir uns nicht, welchen Vorgaben wir dabei folgen. In der Regel verdanken wir auch unsere moralischen Urteile nicht aktiven Erkenntnisprozessen, in deren Verlauf wir eigene Standpunkte bewusst herausbilden. Alle unsere Einstellungen gehen eher ungeprüft auf Informationen und Einflüsse aus allen möglichen Quellen zurück:

"Gedanken sind neurologische Erscheinungen." - "Als soziale Netzwerke sind Freundschaften wichtig für ein gutes Leben." - "Das Universum ist aus dem Nichts entstanden."

Kann man diesen drei Behauptungen tatsächlich zustimmen? Was bedeuten diese Vorstellungen? Ist der Begriff des Nichts logisch und die besagte Aussage verständlich? Was sind Gedanken? Teile ich die Aussage, dass sie Phänomene des Gehirns sind? 

Wer ein natürliches Bedürfnis verspürt, die eigenen Erfahrungen und Überzeugungen derartig zu überprüfen, der führt sein Leben aufmerksamer, überlegter und authentischer und so auch selbstbestimmter. Er misstraut den allgemeinen Behauptungen, denen man gedankenlos folgt, um sich in die gemeinschaftlich geltenden Denk- und Sprachmuster einzufügen. Er versucht sie aufzudecken und fragt nach unreflektierten Begriffen und Urteilen. Eine solche kritische Haltung gegenüber den eigenen Selbstverständlichkeiten drückt der griechischen Begriff φιλοσοφία (philosophia) aus, den man mit ‚Liebe zur Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber‘ übersetzen könnte. Im Philosophieunterricht üben wir mit unseren Schülerinnen und Schülern diese natürliche Feindschaft gegenüber der eigenen Normalität ein:

Die Selbstverständlichkeiten, unter deren Voraussetzung wir unser tägliches Leben wahrnehmen, werden im Unterricht systematisch in Frage gestellt, um die grundlegenden Aspekte menschlicher Existenz überhaupt erst zum Gegenstand des Nachdenkens werden zu lassen.

Dieser selbstkritische Blick richtet sich dabei inhaltlich an grundlegenden, allgemeinen Gesichtspunkten des menschlichen Daseins in unserer heutigen Welt aus. Hier lassen sich inhaltlich die folgenden vier Bereiche unterscheiden.

In der Anthropologie werden Vorstellungen thematisiert, die wir uns von uns selbst als Menschen machen: Lässt sich die Grenze zwischen Tier und Mensch scharf ziehen? Gibt es Fähigkeiten, die Menschen besitzen, über die Computer aber niemals verfügen werden, oder grenzen kulturelle, historische Traditionen den Menschen ab?

In der Erkenntnistheorie geht es um die Frage, ob und inwieweit die Zugänge, die wir zur Welt haben – also die Sinnesorgane, der Körper, die Sprache und das Denken, die Wissenschaften und die Künste – unser Wissen prägen und welche Konsequenzen wir daraus zu ziehen haben.

In der Ethik interessieren Maßstäbe des richtigen Handelns und inwieweit wir Verantwortung für die Folgen unseres Tuns übernehmen müssen. Dies umfasst auch die Frage, wie eine gerechte Gesellschaft gestaltet werden müsste.

In der Metaphysik nehmen wir den Sinn der Welt und des menschlichen Daseins in den Blick. Hier geht es um das Ganze der Welt, den Ursprung des Universums und darum, ob sich traditionelle religiöse Weltbilder mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren lassen.

Methodisch steht dabei erst einmal der kritische Umgang mit den Fragen im Vordergrund, die sich stellen, und den Begriffen, die zu ihrer Formulierung verwendet werden. Sind die Fragen sinnvoll formuliert? Teilen wir die Vorstellungen, die wir mit den verwendeten Begriffen verbinden? Die eigene Position ist so darzustellen, dass sie von allen Gesprächsteilnehmern nachvollzogen werden kann und so einer argumentativen Begründung, aber auch Kritik zugänglich wird. Dafür müssen auch die häufig unbewussten Vorannahmen der Argumentation ausdrücklich dargelegt und die Argumente anhand von Beispielen erläutert werden.

Um eine solche Haltung der sprachlichen Genauigkeit und gedanklichen Übersicht zu entwickeln, findet das Philosophieren nicht im ‚luftleeren Raum‘ statt. Im Unterricht werden nicht nur zentrale Positionen der philosophischen Tradition bis hin zur Gegenwart analysiert, sondern Wissensbestände aus anderen Disziplinen, insoweit sie als empirische Tatsachen zu berücksichtigen sind. Die kritische Untersuchung von Thesen und Argumenten dient aber stets dem Ziel, die Schülerinnen und Schülern zu unterstützen, fruchtbar in ein prüfendes, klärendes Gespräch über die eigenen Standpunkte zu gelangen.

Der Philosophieunterricht lebt so vor allem von der besonderen Atmosphäre eines philosophischen Gesprächs, die dann zustande kommen kann, wenn die genannten Voraussetzungen von den Teilnehmern erfüllt werden. Das gemeinsame, genaue Sprechen über die Dinge, die uns aus unserem Leben zutiefst vertraut und verständlich scheinen, fördert das dialektische Denken im Spiel von Argument und Gegenargument, es spürt die fehlenden Gründe unserer Vorurteile auf und legt die Voraussetzungen des eigenen Standpunktes frei. Das Aufmerksamwerden auf die Vielfalt von Perspektiven, die sich nicht in einfache Definitionen und allgemeingültige Aussagen auflösen lassen, schärft den Blick für die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Begriffe. 

Der Dialog in einer Gemeinschaft, durch den die Lust am Fragen, am begründeten Zweifeln, am Zuhören und an gedanklichen Experimenten gefördert werden soll, ist an das Privileg der Muße gebunden. Muße im antiken Sinne: Das meint das Tätigsein in einem besonderen Freiraum, in dem es nicht um das Erlernen von Fachterminologie, Formeln, Techniken, Vokabeln und der Anwendung von Detailkenntnissen geht, sondern um die Einübung in eine geistige Haltung, die Sokrates pointiert zum Ausdruck gebracht hat:  "Ich weiß, dass ich nicht (so!, d.h. nicht: nichts) weiß."

Seine Aussage verweist auf einen Grundzug des Philosophierens: Die selbstkritische Haltung gegenüber den eigenen Überzeugungen, die angesichts der unübersichtlichen Komplexität der Wirklichkeit und der kulturellen Einbindung des menschlichen Geistes niemals der Weisheit letzter Schluss sein können und dürfen.

Für die Bildung der hier beschriebenen philosophischen Grundfähigkeiten (Infragestellen der eigenen Wahrnehmungsvoraussetzungen, Kritisieren vorgegebener Deutungen, Argumentieren, Urteilen und Darstellen philosophischer Positionen) nutzen wir neben den traditionellen Medien natürlich auch die digitalen Werkzeuge. Unsere Schüler*innen verwenden das Internet für die kritische Recherche, veranschaulichen ihre Arbeitsergebnisse mit Hilfe von Word und Powerpoint und entwerfen interaktive Materialien zur Ergebnissicherung und zur Aktivierung ihrer Dialogpartner. Durch den eigenverantwortlichen Gebrauch digitaler Medien fördern die Philosophierenden ihre Zusammenarbeit, entdecken ihre Kreativität und formen ihr kritisches Denken. Insofern trägt unser Unterricht zur Förderung digitaler Kompetenzen bei, die im Dienste philosophischer Bildung stehen.

 

   
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